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Die Behandlung des Diabetes zielt insbesondere darauf ab, diabetische Spätkomplikationen zu verhindern. Diese Komplikationen werden eingeteilt in mikrovaskuläre Komplikationen, die vor allem die diabetische Augenerkrankung (Retino/Makulopathie) und Nierenerkrankung (Nephropathie) umfassen sowie makrovaskuläre Komplikationen, welche sich in Herzinfarkt, Schlaganfall oder anderweitigen Durchblutungsstörungen in größeren Gefäßen (Beingefäßen, Halsschlagadern, Aorta) äußern.
Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Reduktion von diabetischen Spätkomplikationen bei Menschen mit Diabetes gezeigt. So konnte in einer schwedischen Kohorte nachgewiesen werden, dass das Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt oder ein anderes akutes Herzkreislauf-Ereignis sowohl bei Menschen mit Typ-1- als auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes um über 20% reduziert werden konnte, wenn man die Zeiträume von 1998 bis 2014 miteinander verglich.
Interessanterweise waren die HbA1c-Werte in den beiden Vergleichszeiträumen ähnlich, was darauf schließen lässt, dass andere Faktoren unabhängig von den Blutzuckerwerten eine tragende Rolle spielen.
Doch was lässt Menschen mit Diabetes gesünder älter werden?
1. Bessere Medikamente:
Bis vor ca. 10 Jahren war man in der Wahl der blutzuckersenkenden Therapie auf den Einsatz von Metformin, Sulfonylharnstoffen, Glitazonen und Insulin beschränkt. Obwohl man gesehen hat, dass die Therapie mit diesen Medikamenten zwar auch das Risiko für diabetische Spätkomplikationen senken konnte, insbesondere wenn man gegen „keine Therapie“ verglich, war der Effekt auf die Risikomodifikation eher überschaubar. Vereinzelt gab es sogar Medikamente, die zwar in der Blutzuckersenkung effektiv waren, jedoch langfristig zumindest vereinzelt einen größeren Schaden als Nutzen gebracht haben. So zeigte sich zum Beispiel unter dem nur mehr selten verwendeten Pioglitazon erst nach vielen Jahrzehnten des alltäglichen Einsatzes, dass das Risiko für Herzschwäche und Knochenbrüche bei Frauen erhöht ist. Aus diesem Grund fordern die Gesundheitsbehörden mittlerweile sogenannte kardiovaskuläre Endpunktstudien für alle neu vermarkteten Substanzen, in denen etwaige unerwünschte Effekte von neuen Medikamenten gegen Placebo untersucht werden.
Aus diesen kardiovaskulären Endpunktstudien ging hervor, dass vor allem durch SGLT2-Hemmer (in Ö erhältlich als Jardiance und Forxiga) und GLP1 Rezeptor-Agonisten (Victoza, Ozempic, Trulicity) das Risiko für das Auftreten von Gefäßerkrankungen, Herzinsuffizienzfällen und Verschlechterung der Nierenfunktion deutlich reduziert werden konnte.
2. Bessere Kontrolle anderer Risikofaktoren (außer Diabetes), welche einen schädigenden Effekt auf das Gefäßsystem haben
Mit einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung ist in den meisten Fällen auch das metabolische Syndrom verbunden. Dieses umfasst neben Störungen im Zuckerstoffwechsel auch das Vorliegen eines erhöhten Blutdrucks, Fettstoffwechselstörungen und das Vorliegen eines Übergewichts oder einer Adipositas.
Man weiß vor allem aus der STENO2-Studie, dass das Risiko für das Auftreten von diabetesbedingten Komplikationen durch eine multifaktorielle Therapie deutlich reduzierbar ist. In diese Studie hat man Menschen mit Typ-2-Diabetes randomisiert zu einer Gruppe, die höhere HbA1c-Ziele, höhere Blutdruckgrenzwerte und höhere Cholesterinwertziele erreichen sollten mit einer Gruppe, bei denen man ein HbA1c <7%, einen Blutdruck <130/90 und ein LDL- Cholesterin <70 mg/dl angestrebt hatte.
Es zeigte sich nach einer 8-jährigen Behandlungsdauer mit den jeweiligen Therapieintensitäten, dass das Risiko für das Auftreten jeglicher Gefäßkomplikationen, die zum Tode führten, um über 50% reduziert werden konnte. In einem noch größeren Ausmaß wurde eine Reduktion von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Amputationen verzeichnet.
3. Optimierte Früherkennungs-/Präventions-/Vorsorgeprogramme
Eine Diabeteserkrankung verläuft in den ersten Jahren meist ohne Symptome und bleibt daher lange unentdeckt. Aber auch in dieser Zeit entwickeln sich möglicherweise irreversible diabetische Spätschäden. Durch die Implementierung der HbA1c- und Blutzuckermessung im Rahmen von Vorsorgeprogrammen lässt sich eine Diabeteserkrankung früher erkennen und behandeln. Zudem weiß man, dass ein Diabetes Typ 2 im Anfangsstadium durch Lebensstilmodifikation oft reversibel ist, insbesondere wenn strukturierte Verhaltensmaßnahmen wie Ernährungsumstellung und Aufnahme/Intensivierung von körperlicher Aktivität umgesetzt werden.
Welche Zielwerte sollten nun angestrebt werden
HbA1c: Das HbA1c-Ziel sollte in Abhängigkeit des Menschenalters, der Vorerkrankungen, und der Lebenserwartung definiert werden. Während junge Menschen (zB mit Typ-1-Diabetes) in den meisten Fällen ein HbA1c-Ziel <7% vorgeschlagen bekommen, steht z.B. bei geriatrischen PatientInnen im Vordergrund Hypoglykämien und Symptome einer Hyperglykämie und auch möglichst unerwünschte Nebenwirkungen auf blutzuckersenkende Therapien zu vermeiden. Auch Menschen, die sehr anfällig für Hypoglykämien durch eine Insulintherapie sind, sollte keine allzu engmaschige Blutzuckersenkung empfohlen werden, da man mittlerweile auch weiß, dass nicht nur der hohe Zucker, sondern auch zu niedrige Zuckerwerte (Hypoglykämien), neben den akuten Komplikationen wie Krampfanfällen, auch ein höheres Risiko für die typischen Spätkomplikationen mit sich bringen können.
Blutdruck: Eine blutdrucksenkende Therapie sollte eingeleitet werden, wenn die Mehrheit der selbstgemessenen Blutdruckwerte >140/90 mmHg liegt. Es ist auch sinnvoll die Blutdrucksituation detailliert über eine 24-Stunden-Blutdruckmessung zu evaluieren, da somit etwaige Fehlmessungen durch zB Nervosität während der Messung ausgeräumt und auch die nächtlichen Blutdruckwerte gut abgebildet werden können. Therapie der Wahl sind sogenannte ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker, insbesondere wenn eine Eiweißausscheidung im Harn (Albuminurie) vorliegt. In der Regel ist ein Blutdruckziel <140/90 mmHg anzustreben. Wenn bereits Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems vorliegen, ist ein Blutdruckziel <130/80 mmHg vorteilhaft. Bei Menschen über 80 Jahren ist eine normnahe Blutdruckeinstellung nicht notwendig und ein Blutdruckziel <150/90 mmHg empfohlen.
Cholesterin: Das LDL-Cholesterin oder auch „böses Cholesterin“ ist der Blutfettwert, der die größten schädigenden Effekte auf die Gefäße hat. Bedauerlicherweise ist die Höhe des Cholesterins zu einem großen Anteil genetisch vorgegeben und die Cholesterinsenkung durch Fettreduktion und gesunden Lebensstil nur bedingt möglich. Die Hypothese, dass ein hohes „gutes Cholesterin“ (HDL-Cholesterin) ein hohes LDL-Cholesterin ausgleicht ist in die Jahre gekommen und wird auch durch Therapieleitlinien nicht mehr unterstützt. Das LDL-Ziel richtet sich nach dem jeweiligen Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Wenn bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung wie ein Herzinfarkt, Schlaganfall, eine Verschlusskrankheit der Beingefäße oder der Aorta in der Anamnese vorliegt, sollte ein LDL-Ziel <55 mg/dl erreicht werden. Bei Menschen mit Diabetes ohne Spätschäden und einer Diabetesdauer >10 Jahren ist ein LDL-Zielbereich unter 70 mg/dl anzustreben. Bei kurzer Diabetesdauer und keinen weiteren Risikofaktoren wird ein LDL-Ziel <100 mg/dl vorgeschlagen.
Die Therapie der Wahl in der Cholesterinsenkung sind Statine, da mit diesen einerseits eine sehr effektive LDL-Senkung erreicht werden kann, andererseits weiß man auch aus großen Studien, dass man durch eine Cholesterinsenkung mit diesen Substanzen das Risiko für Gefäßschäden deutlich reduzieren kann. Sollten Statine nicht ausreichen das LDL adäquat zu senken, sind Substanzen wie Ezetimib oder Bempedoinsäure möglich (auch in Kombination mit Statinen). Neuere Substanzen wie PCSK9-Hemmer oder Inclisiran (die jeweils subkutan gespritzt werden) können das LDL-Cholesterin ebenso eindrucksvoll senken. Diese werden jedoch nur dann erstattet, wenn die Erstlinientherapie nicht zu einer zufriedenstellenden LDL-Senkung ausreicht oder diese nicht vertragen wird.
Neben der Blutzucker-, Blutdruck- und Cholesterinsenkung ist auch das Rauchen ein etablierter wichtiger beeinflussbarer Risikofaktor für Gefäßschäden.
Zusammenfassend ergibt sich aus diesem Artikel, dass man neben der Blutzuckersenkung beim Vorliegen eines Diabetes mellitus, auch ein besonderes Augenmerk auf Begleiterkrankungen, die mit dem metabolischen Syndrom einhergehen, legen sollte.
Literatur beim Verfasser.
Autor: OA PD Dr. Dr. Felix Aberer, Meduni Graz