Es gibt jetzt eine Lobby für Diabetes!
16. Oktober 2019„KONSUMENT“-Test zur Diabetesberatung – reden wir über die eigentlichen Probleme!
26. November 2019Rechnungshof sieht Verbesserungsbedarf in der Diabetesversorgung – „wir sind diabetes“ auch
21. Oktober 2019 – Stellungnahme von Dr. Adalbert Strasser, Präsident von „wir sind diabetes“, zum Rechnungshofbericht „Diabetes-Prävention und Versorgung“ vom 18. Oktober 2019
In der vergangenen Woche hat der Rechnungshof Österreich seinen Bericht „Diabetes-Prävention und Versorgung“ vorgelegt. Prüfaufgabe war die „Beurteilung von präventiven Maßnahmen und der Gesundheitsförderung sowie der Versorgung betreffend Diabetes Typ 2“ im niedergelassenen Bereich in Österreich in den Jahren 2013 bis 2017.
Die Schlussfolgerungen der Autoren sind ernüchternd. Die zentralen Kritikpunkte:
- Unvollständige Datenlage: Exakte Zahlen über die Betroffenen existieren nicht – darauf haben wir von „wir sind diabetes“ erst kürzlich hingewiesen (Stellungnahme vom 16. Oktober 2019). Laut Hochrechnungen der Krankenversicherungsträger waren 2016 österreichweit rund 506.700 Personen von Typ-2-Diabetes betroffen, bis zu 294.000 Typ-2-Diabetes-Erkrankungen sind nicht diagnostiziert. Trotz der erheblichen Unsicherheit, mit der diese Daten behaftet sind, geht man bei den Kassen davon aus, dass die Zahl der Erkrankten zwischen 2013 und 2016 um etwa zehn Prozent gestiegen ist. Falls Sie das jetzt überlesen haben: Eine Zunahme der Typ-2-Diabetes-Zahlen um 10 Prozent (das sind über 45.000 Menschen) in nur drei Jahren!
- Defizite bei Früherkennung und Prävention: Es gibt, abgesehen von der Vorsorgeuntersuchung, die 2016 bei immerhin rund 990.000 Menschen durchgeführt wurde, kein flächendeckendes System für die Früherkennung von Diabetes. Und noch weniger gibt es konkrete Pläne, wie man die weitere Zunahme der Diabeteserkrankungen eindämmen will. Der Rechnungshofbericht zitiert in diesem Zusammenhang die Österreichische Diabetes-Strategie 2017 mit dem „Wirkungsziel 2: Diabetesreduzierende Umwelt-/Umfeldfaktoren fördern“, stellt aber fest, dass bei wichtigen Risikofaktoren (falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinkonsum) in den vergangenen Jahren wenig greifbare Verbesserungen festzustellen waren – was wiederum erklärt, warum immer mehr Menschen an Adipositas und Typ-2-Diabetes erkranken.
- Teilnahme an Diabetesbetreuungsprogramm „Therapie Aktiv“ unbefriedigend: Ende 2017 waren laut Rechnungshofbericht 66.000 Menschen in Österreich mit Typ-2-Diabetes in das Disease-Management-Programm (DMP) „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“ eingeschrieben, das entspricht geschätzten ca. 13 Prozent der Erkrankten. Ende April 2019 waren es etwas mehr (knapp 79.000 Personen), aber immer noch weit weniger als beispielsweise in Deutschland, wo die Hälfte der Menschen mit Typ-2-Diabetes in vergleichbaren Programmen eingeschlossen sind. Das ist relevant, weil strukturierte Behandlungsprogramme Mindeststandards an Diabetesbetreuung – etwa regelmäßige Augen- oder Fußuntersuchungen – garantieren, was derzeit in Österreich leider nicht selbstverständlich ist.
Ein weiterer Kritikpunkt, die unzureichende Umsetzung von telemedizinischen Lösungen zur Optimierung der Verlaufskontrolle von Erkrankungen zwischen Ordinationsbesuchen, ist sicherlich differenziert zu sehen und berührt aus unserer Sicht auch nicht die grundlegenden Probleme der Diabetesversorgung in Österreich.
Kommen wir zu den „Zentralen Empfehlungen“ (auf Seite 9) des Berichts:
- Es wären valide und vollständige Datengrundlagen (Epidemiologie, Diagnosen, beanspruchte Leistungen, Wirkung der Behandlung) zu Diabetes zu schaffen. Weiters wäre eine Stelle festzulegen, die verfügbare Daten sektorenübergreifend zusammenfasst und daraus Handlungsempfehlungen ableitet.
- Es wären evidenzbasierte österreichweite Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekte im Bereich Diabetes zu priorisieren und zu forcieren.
- Geeignete Maßnahmen (z.B. Anreizsysteme) zur Steigerung der Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchung vor allem bei Personen ohne regelmäßige Arztkontakte und mit erhöhtem Diabetes-Risiko wären zu setzen.
- Die Einschreibungen von Diabetikerinnen und Diabetikern sowie die Teilnahme von Ärztinnen und Ärzten im Disease Management Programm Diabetes wären zu forcieren. Es wäre zu erheben, welche Gesundheitsberufe im niedergelassenen Bereich für eine adäquate Diabetes-Versorgung erforderlich sind, und diese wären zeitnah in das bestehende Versorgungsangebot zu integrieren.
Wir von „wir sind diabetes“ können das alles vorbehaltlos unterschreiben – mit der Einschränkung allerdings, dass aus unserer Sicht das konjunktivische „wären“ in jedem Fall durch ein imperatives „sind“ zu ersetzen ist.
Die Empfehlungen des Rechnungshofs, ebenso wie die zahlreichen Handlungsansätze, die in der Österreichischen Diabetes-Strategie 2017 niedergeschrieben sind, geben eine klare Richtung vor, wie wir einerseits die drohende „Diabetes-Pandemie“ verhindern und andererseits die wachsende Zahl der Menschen mit Diabetes so betreuen können, wie sie es verdienen.
Wir sind gespannt, wie die kommende Bundesregierung und die Verantwortlichen in der neuen Sozialversicherungslandschaft sich diesen Herausforderungen stellen werden.